2024

Eva Seiler

2021 Faux Bois, Stadtpark, Graz, AT

2021 Faux Bois, City Park, Graz, AT

Text

2021, Faux Bois

Bei der Bäckerei gegenüber vom Parkeingang hat sie sich ein Stück Topfenstrudel geholt. Mit der verpackten Süßspeise in der Hand sucht sie nach einer Bank. Doch keine erscheint ihr geeignet: entweder zu schattig oder von Taubenkot verdreckt. Sie setzt sich schließlich zögernd auf eine Bank innerhalb eines umzäunten Spielplatzes. Da es eher kühl und bewölkt ist, sind fast keine Eltern mit ihren Kindern dort. Drei ältere Buben laufen abwechselnd die Rutsche von unten hinauf, wobei einer ziemlich heftig hinschlägt. Er schaut danach nur noch seinen Freunden zu.

Vorsichtig faltet sie den Strudel aus dem Papier. Er liegt auf einem Pappteller. Sie bricht kleine Stücke herunter. Dabei versucht sie nur ihre Fingerspitzen zu benützen. Aus dem Augenwinkel nimmt sie eine Bewegung wahr. Sie schaut in die Richtung und sieht eine Krähe, die sich hüpfend nähert. Kurz überlegt sie ihr ein Stückchen anzubieten, verwirft den Gedanken aber wieder. Die Krähe positioniert sich in Reichweite zur Bank.

Sie beobachtet wieder die Jugendlichen. Der Kleinste von ihnen stellt sich am geschicktesten an, obwohl er die kürzesten Beine hat. Der Ältere, der vorhin hingefallen ist, hat offensichtlich keine Lust mehr. Er ruft den beiden anderen zu „ich geh zu Melvin“. Kurz diskutieren die Beiden, ob sie auch gehen, schlendern dann aber zum Schaukelgerüst. Bevor sie das Verpackungspapier in den Mistkübel wirft, schüttelt sie es vor der Bank aus.

Entlang der großen Wiese geht sie in Richtung Ausgang. Sie sieht den Ball aus der Bahn geraten und von der Wiese auf den Weg rollen. Sie kann genau vorhersagen, dass er ihren Weg kreuzen wird. Gegen ihren Impuls den Ball zu ignorieren, nimmt sie ein paar Schritte Anlauf und schießt ihn hart zwischen Bank und Baum zurück. Von der Wiese kommt Klatschen.

Als er um die hintere Ecke des Klohäuschens biegt, ist Siad schon da. Irgendwie ist es zur Gewohnheit geworden, dass sie sich hier treffen. Der Bereich ist vom Gehweg nicht einsehbar, nur ab und zu schnüffelt ein Hund vorbei. Sie sitzen auf der niedrigen Balustrade, die den Weg von den Büschen dahinter trennt. Mit der Zeit schneidet das Geländer unangenehm in den Oberschenkel. Trotzdem verändern sie ihre Haltung nur unwesentlich. Es scheint fast als wäre es ein Zugeständnis an die Wichtigkeit ihrer Treffen. Er hat einen Flasche Organgensaft und zwei Croissants dabei. Den ganzen Tag freut er sich schon darauf Siad eine neue Passage zu zeigen, an der er lange gearbeitet hat. Er faltet den Zettel auseinander und liest:

Der Himmel war in sich zusammengefallen und lag jetzt unordentlich auf der Erde. Die Umherstehenden konnten sich nicht erklären, wie das zuvor weltumspannende Volumen auf die Größe eines Tümpels zusammengeschrumpft war. Er ähnelte jetzt einer bleigrauen Cellophanhülle in der sich nichts spiegelte. Nur ein paar weiße Schlieren durchzogen den Himmel wie Beweise für Chemtrails. Möwen begannen am Himmel zu picken und Stücke aus ihm heraus zu rupfen. Ein Schauer durchfuhr den Himmel, oder das, was von ihm übrig war und er wechselte in schneller Farbabfolge von violett nach grün nach gelb nach schwarz. Verstohlen begannen erst wenige, dann immer mehr Menschen einen Teil der Hülle wegzureißen.

Siad sagt erstmal nichts. Dann sagt er „lies es nochmal“.

Luise schaut den beiden Kindern ihrer Freundin zu, wie sie einen Hindernisparcours für Ameisen bauen. Die Ameisen finden aber immer Möglichkeiten neben den Hindernissen vorbeizukommen. Manchmal stellt sie sich vor, wie die Welt aus einer Insektenperspektive aussehen müsste. Als Kind hat sie sich in einem Buch ihrer Mutter eine Zeichnung immer wieder angesehen. Darauf war ein Riese zu sehen, der, auf einem Bergrücken liegend, nach Autos auf der darunter liegenden kurvigen Straße greift, um sie dann genüsslich in den Mund zu stecken. Als sie lesen konnte, stand im Text darunter: Außen sind sie etwas knackig, aber innen schön weich. Sie legt sich auf den Boden, um näher bei den Ameisen zu sein.

Eva Seiler

She gets herself a slice of cheese strudel from the bakery opposite the park entrance. With the wrapped pastry in hand, she looks for a bench. But none seems right for her: either too shady or covered with pigeon droppings. Finally, reluctantly, she sits down on a bench inside a fenced playground. As it is rather cool and cloudy, almost no parents are there with their children. Three older boys take turns running up the slide from below, whereby one falls down pretty hard. After that, he just watches his friends.

She carefully unfolds the strudel from the paper. It’s on a paper plate. She breaks off small pieces. She tries to use only her fingertips. She sees movements out of the corner of her eye. She looks in the direction and sees a crow hopping towards her. She briefly considers offering a piece, but dismisses the thought. The crow positions itself within range of the bench.

She watches the teens again. The smallest of them is the most skillful, despite having the shortest legs. The older one who fell earlier obviously is no longer interested. He calls out to the other two, "I'm going to Melvin's". The two briefly discuss whether they will go too, but then stroll to the swing frame. Before she throws the paper packaging in the garbage can, she shakes it out in front of the bench.

Along the big meadow she walks in the direction of the exit. She sees the ball come out of its track and roll off the lawn onto the path. She can already tell that it will cross her path. Against her impulse to ignore the ball, she takes a few steps and shoots it hard back between the bench and the tree. Clapping comes from the meadow.

When he turns the back corner of the outhouse, Siad is already there. For some reason it has become their habit to meet here. The area cannot be seen from the sidewalk, just now and then a dog sniffs around. They sit on the low balustrade that separates the path from the bushes behind. After sitting for some time, the railing cuts uncomfortably into the thigh. Despite this, they modify their attitude only marginally. It almost seems like a concession to the importance of their meetings. He has a bottle of orange juice and two croissants with him. All day he has been looking forward to showing Siad a new passage that he has been working on for a long time. He unfolds the paper and reads:

The sky had collapsed and now lays disordered on the earth. Those standing around could not explain how the previously world-encompassing mass had shrunk to the size of a pond. It now resembled a lead-gray cellophane wrapper, in which nothing was reflected. Only a few white streaks crossed the sky like evidence of chemtrails. Seagulls began pecking at the sky, pulling pieces out of it. A shower passed through the sky, or what was left of it, rapidly changing color from purple to green to yellow to black. Furtively at first, then more and more people started tearing off part of the shell.

Siad says nothing at first. Then he says "read it again".

Luise watches her friend's two children as they build an obstacle course for ants. The ants always find ways to get past the obstacles. Sometimes she imagines what the world would look like from an insect's perspective. As a child, she looked at a drawing in one of her mother's books over and over again. In it was a giant lying on a ridge, reaching out for cars on the winding road below, then happily popping them in his mouth. When she could read, the text underneath said: They're a bit crunchy on the outside, but nice and soft on the inside. She lies down on the ground to be closer to the ants.

Eva Seiler

PANEL # 7 / by Julian Turner & Elisabeth Greinecker / AT

PANEL # 7 / by Julian Turner & Elisabeth Greinecker / AT

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2016 Collage

2016 Collage

2018 Insekt, Collage

2018 Insekt, Collage

2011 Einhorn, Jabberwocky, Frappant, Hamburg, DE

2011 Unicorn, Jabberwocky, Frappant, Hamburg, DE

2016 Gelenkkasten, Bibliothek Mumok, Wien, AT

2016 Joint Box, Library of Mumok, Vienna, AT

2016 Collage, FRANZ THE LONELY AUSTRIONAUT, AT

2016 Collage, FRANZ THE LONELY AUSTRIONAUT, AT

2014, Slinky Grapes, Magazin im Internet #15, by Karoline Dausien

2014 Slinky Grapes, Magazin im Internet #15, by Karoline Dausien

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PANEL # 7 / by Julian Turner & Elisabeth Greinecker / AT

PANEL # 7 / by Julian Turner & Elisabeth Greinecker / AT

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2014 Fluc, Wien, AT

2014 Fluc, Vienna, AT